Hier das Bedürfnis nach individueller Mobilität – dort die Vision von lebenswerteren, sicheren und verkehrstechnisch entlasteten Städten. Wie man diese scheinbaren Gegensätze stimmig zusammenbringt, erarbeitet das Tech-Unternehmen MOIA.

Bereits heute mit seinem vollelektrischen Ridepooling-Konzept in Hannover und Hamburg vertreten, will das Tochterunternehmen des Volkswagen Konzerns bald die ersten kommerziellen autonomen Fahrten durchführen. Welche Hürden es auf diesem Weg noch zu meistern gilt und wie auch Firmenflotten von dem Angebot profitieren, erklärt uns MOIA-CEO Sascha Meyer im Interview.
Herr Meyer, für alle, die bislang noch nichts von MOIA gehört oder gesehen haben – in drei Sätzen: Welche Mission verfolgen Sie?
Wir sind ein junges Technologieunternehmen – und haben es uns zum Ziel gesetzt, einen entscheidenden Beitrag zur Mobilitätswende in den urbanen Zentren zu leisten. Durch Ridepooling, also die intelligente Bündelung von Fahrten, greift unser Ansatz genau dort, wo der klassische ÖPNV an seine natürlichen Grenzen stößt; vor allem in Sachen Flexibilität beziehungsweise Bedürfnisorientierung. Dafür arbeiten wir eng mit Städten wie auch öffentlichen Verkehrsträgern zusammen und denken das Thema immer ganzheitlich: vom Algorithmus über die Apps bis hin zu Fahrzeugen, Flottenmanagement und Infrastruktur.
Warum ist das mit Blick auf unsere Städte so wichtig?
Ich denke, die Antwort dürfte sich jedem sofort erschließen, der mit seinem Fahrzeug in einer größeren Stadt vom Format Hamburgs an einem gewöhnlichen Werktag von A nach B möchte. Bringen wir das mal in Zahlen auf den Punkt: In den europäischen Metropolen kommen Sie heute im Pkw mit einem Durchschnittstempo von übersichtlichen 8 km/h voran; gleichzeitig steigt aber das Bedürfnis der Menschen nach Mobilität. Unsere Verkehrsnetze werden jedoch ein weiteres Wachstum von motorisiertem Individualverkehr in seiner heutigen Form nicht mehr mitmachen, soviel steht fest – das Limit ist längst erreicht. Trotzdem sind wir davon überzeugt, dass reines Schwarz-Weiß-Denken à la komplett autofreie Stadt zu keiner tragfähigen Lösung führt. Mit anderen Worten: Ja, das Auto ist Teil des Problems. Und genau deswegen werden wir es zu einem Teil der Lösung machen.

Autonomes Fahren ist für MOIA eine Schlüsseltechnologie, um die Ausweitung von Ridepooling zu beschleunigen.
Seit dem Start des Angebots haben Sie ja bereits circa sechs Millionen Fahrten durchgeführt…
Ja, da ist seit dem ersten Projekt 2017 ganz schön was zusammengekommen. Und jede einzelne Fahrt war für uns Gold wert, um das Angebot so aufzustellen, dass es künftig optimal genutzt werden kann: in möglichst vielen Städten, von möglichst vielen Menschen, in möglichst vielen Situationen und natürlich zu bezahlbaren Preisen. Das Schlagwort lautet ganz klar Skalierung. Nehmen wir mal die Stadt Hamburg: Dort sind aktuell rund 250 MOIA-Shuttles unterwegs; mit Blick auf die erreichte Verkehrslast ist das aber noch ein vergleichsweise kleines Stück vom Kuchen – und noch keine relevante Größenordnung, um eine wirkliche Entlastung der urbanen Verkehrsströme zu erreichen.
Wie wäre so eine relevante Größenordnung den zu beziffern?
Unser Ziel ist es, bis 2030 in Hamburg 5.000 MOIA-Fahrzeuge im Einsatz zu haben, bei einer Bedienqualität von unter fünf Minuten. Mit Menschen am Steuer, wie wir sie heute noch bei MOIA haben, bräuchten wir dafür rund 13.000 neue Fahrerinnen und Fahrer. Angesichts des weithin bekannten Personalmangels ist das vollkommen utopisch. Abgesehen davon müssen Beschäftigte am Steuer gesetzliche Pausenzeiten einhalten, möchten bestenfalls am gleichen Ort ihre Schicht beenden, an dem sie sie begonnen haben und lassen sich natürlich nicht wie Roboter behandeln. Wenn wir etwa nachts einen Kunden aus der Stadt in ein ländlicheres Gebiet bringen, müsste ein vom Menschen gesteuertes Fahrzeug in den meisten Fällen wieder leer zurückfahren. Ein autonomer Pkw könnte hingegen die Nacht auf dem nächstgelegenen Parkplatz verbringen und am nächsten Morgen wieder Fahrgäste mit in die City nehmen. Sie merken also schon: Am autonomen Fahren als Schlüsseltechnologie führt kein Weg vorbei.

Die digitale Produktentwicklung stammt bei MOIA genauso wie der operative Betrieb und das Management von Fahrzeugen, Flotte sowie von Fahrerinnen und Fahrer aus einer Hand und ist technologisch tief in Soft- und Hardware verwurzelt.
Aber dieser Weg ist ja noch ein ziemlich weiter, oder?
Ganz im Gegenteil! Der nächste große Step steht schon für 2025 auf dem Plan. Dann wollen wir in Hamburg – wenn auch zunächst für einen geschlossenen Nutzerkreis und kleineren, etwa witterungsbedingten – Einschränkungen die ersten kommerziellen autonomen Ridepooling-Fahrten anbieten. Denn was viele vielleicht überraschen mag: In Sachen Gesetzgebung ist Deutschland hier wirklich international Vorreiter. Während solche Projekte in den USA nach wie vor nur auf Basis von Sondergenehmigungen realisiert werden können, besitzt Deutschland seit vergangenem Jahr ein klares gesetzliches Regelwerk für autonome Mobilität. Darüber hinaus ist MOIA seit Anfang 2023 sozusagen offizieller Teil des Hamburger ÖPNV. Die Hansestadt hat uns eine Konzession nach dem novellierten Personenbeförderungsgesetz erteilt, womit wir als eigenwirtschaftlicher Linienbedarfsverkehr gelten.
Wenn wir uns ein typisches Stadtverkehrsszenario ansehen: dort ein Radfahrer, hier der Paketbote in zweiter Reihe, eine Frau auf einem E-Scooter und der Fußgänger, der spontan die Straßenseite wechselt: Ist autonome Mobilität in der Stadt nicht um ein Vielfaches komplexer als auf der Autobahn?
Ja – und nein. Natürlich sind autonome Fahrzeuge in Städten mit einer Vielzahl an Eventualitäten konfrontiert, die richtig interpretiert werden müssen. Hier ist die technologische Entwicklung aber schon so weit fortgeschritten, dass einem Start in zwei Jahren aus heutiger Sicht nichts Gravierendes im Wege steht. Andererseits handelt es sich bei der Stadt um einen klar begrenzten Bereich, was wiederum in Sachen Datenverbindung und erforderliche Streckenkenntnisse viele Vorteile bringt. Wir bei MOIA konzentrieren uns gegenwärtig vor allem auf die Bereiche Passagiermanagement und Flottensteuerung.

Um einen flächendeckenden Service anbieten zu können, muss autonomes Ridepooling auch mit allen Situationen umgehen können, für die sonst eine Fahrerin oder ein Fahrer an Bord ist.
Was heißt das konkret?
Bei der Flottensteuerung geht es zum Beispiel darum, stets die bestmögliche Route zu finden, damit der Fahrgast ein positives Pooling-Erlebnis hat. Wenn Sie heute in Hamburg zur Elbphilharmonie möchten, diese schon am Horizont sehen – aber das Auto kurz vorher nochmal einen Umweg macht, um einen weiteren Fahrgast einzusammeln, ist das natürlich unbefriedigend. Das zweite Learning aus den sechs Millionen Fahrten: Menschen kommen gern mal auf ziemlich lustige Ideen, möchten ihren Weihnachtsbaum mitnehmen, mit MOIA umziehen und so weiter … Hier landen wir dann beim Thema Passagiermanagement. Die Erfahrungen, welche wir hier gemacht haben und immer noch machen, müssen wir ins autonome Zeitalter transportieren. Zugespitzt formuliert: Die „Blechdose“ muss menschlich werden – und das System quasi so auf den Fahrgast eingehen, wie es menschliches Fahrpersonal tut.
Aber das kann ja nicht alles Künstliche Intelligenz leisten?
Ganz richtig! Der Erfolg des autonomen Ridepoolings fällt und steht damit, dass sich der Fahrgast sicher und gut betreut fühlt; etwa, indem er im Zweifel auf einen Knopf drückt und per Audio oder Video mit einem Menschen verbunden wird, der aus der Ferne eingreifen kann. Sie dürfen nicht vergessen: Automobile Individualmobilität ist ein lange „gelerntes“ menschliches Verhalten; doch der Mensch ist ebenso bereit, Neues anzunehmen, wenn damit von Beginn an positive Nutzungserlebnissen verbunden sind. Das haben wir in den USA, wo es solche Angebote im Rahmen der erwähnten Sondergenehmigungen schon gibt, beobachten können: War man vielleicht bei der ersten oder zweiten Fahrt ohne Chauffeur noch etwas nervös, ist man spätestens beim fünften Trip komplett entspannt und widmet sich zum Beispiel den E-Mails auf dem Diensthandy.
Ein gutes Stichwort für einen weiteren spannenden Aspekt: Welche Anwendungsszenarien sehen Sie bei MOIA im Bereich von Firmenflotten?
Hier arbeiten wir bereits mit verschiedenen in Hamburg ansässigen Unternehmen zusammen – also Hotels, die unser Angebot für Gäste-Shuttlefahrten einsetzen, aber auch Firmen, die ihr Aufkommen an innerstädtischem Flottenverkehr reduzieren möchten. Perspektivisch streben wir an, die unterschiedlichen Kompetenzen des Konzerns in diesem speziellen User-Bereich noch weiter zu verknüpfen. Ein konkreter Anwendungsfall könnte dann so aussehen: Ich muss von außerhalb zu einem Geschäftstermin in der Hamburger Innenstadt, parke aber meinen elektrischen Dienstwagen nicht teuer und nach einer umständlichen Stadtverkehrsodysee im City-Parkhaus; stattdessen lasse ich ihn etwas außerhalb in einem speziellen Bereich stehen, wo eine Lademöglichkeit vorhanden ist oder sogar noch Dienstleistungen wie Autowäsche in Anspruch genommen werden können. Für die letzten Kilometer zu meinem Ziel nutze ich dann, natürlich im Bedarfsfall mit meinen Kolleginnen und Kollegen, ein autonomes MOIA-Shuttle; darin ließe sich dann perfekt arbeiten, man spart sich die Parkplatzsuche, ist nicht an Bus- und Bahnzeiten gebunden und kommt später ganz flexibel wieder zurück zum eigenen Firmenfahrzeug.
Stand: 1.3.2023
© Volkswagen AG