Im Sog des Lieblingssongs

Ganz gleich, ob Klassik, Rock oder Elektro: Es kommt nicht auf das Genre an, sondern vielmehr auf das sogenannte Arousal, also die innere Aktivierung, die die Musik³⁾ hervorruft. Einfacher Fakt: Zu wenig Aktivierung macht müde, zu viel Aktivierung dagegen hektisch. Beides kostet Aufmerksamkeit – und die gehört im Verkehr natürlich komplett auf die Straße¹⁾⁵⁾.

Genau hier kippt der Mythos vom positiven Einfluss des Lieblingssongs. Emotional bedeutsame Musik bindet unseren Fokus stärker, als vielen bewusst ist. Sie löst Gefühle aus, die nichts mit der Verkehrssituation zu tun haben, aber direkt in das Fahrverhalten hineinwirken. Studien dokumentieren verlängerte Reaktionszeiten, unruhigeres Lenken und höhere Geschwindigkeiten – gerade bei jungen Personen am Steuer¹⁾²⁾⁵⁾. Bereits 2013 zeigte Warren Brodsky an der Ben-Gurion-Universität: Gerade Fahranfängern unterlaufen bei ihrer Lieblingsmusik mehr Fehler, sie fahren ungenauer und aggressiver. Aktivierende Musik erhöht bei ihnen impulsives Verhalten deutlich stärker als bei älteren Menschen⁵⁾.

Entspannter Takt als gute Taktik

Besonders interessant: Der Beat bestimmt oft das Tempo. Eine Analyse mit KI-Modellen zeigt, dass schneller Takt mit riskanterem Fahrverhalten korreliert: Es kommt zu häufigeren Spurwechseln, abrupten Beschleunigungsmanövern und erhöhten Geschwindigkeiten⁸⁾. Umgekehrt kann ruhige Musik die Fahrstabilität erhöhen. Musik ist also bei Weitem kein passiver Begleiter – sie wirkt wie ein zusätzlicher Regelkreis im Kopf. Brodsky brachte es später in einem Interview drastisch auf den Punkt: „Das Auto ist der einzige Ort auf der Welt, an dem man sterben kann, nur weil man die falsche Musik hört.“ Die Aussage stammt aus dem Jahr 2015 – die Daten dahinter bleiben aktuell. Eine Meta-Analyse von 2019 fasst die Literatur so zusammen: „Das Hören von Musik hat statistisch gesehen einen signifikanten negativen Einfluss auf die Fahrleistung.¹⁾”. Der alte Rat des Hannoveraner Musikpsychologen Reinhard Kopiez, bei „anspruchsvollen Fahrsituationen“ lieber das Radio leiser zu drehen, wirkt damit aktueller denn je.

Don’t play with the display

Bei allem Einfluss der Musikauswahl – es ist vor allem der „Weg“ zu ihr, der sich auf das Risiko beim Fahren auswirkt. Moderne Cockpits fordern Aufmerksamkeit, weil Touchscreens Blick und Hände binden⁷⁾. Viele verlieren dabei buchstäblich die Straße aus den Augen. Simulatorstudien zeigen Reaktionsverlängerungen in Bereichen, die man sonst eher mit Promillewerten assoziiert. Der Europäische Verkehrssicherheitsrat bringt es auf den Punkt: „If you control the music for just 2 seconds while driving at 63 km/h, you have driven more than 30 meters blind.“⁹⁾

Wrapped – Musik am Steuer

Am Ende entsteht ein paradoxes Bild: Musik kann Müdigkeit senken und Fahrfehler verhindern, wenn sie moderat aktiviert⁴⁾. Sie kann aber auch jene Impulse auslösen, die man sonst den „Dränglern“ auf der linken Spur zuschreibt. Die Playlist ist damit längst kein Lifestyle-Accessoire mehr, sondern ein unterschätzter Stellhebel im Sicherheitskonzept moderner Mobilität.

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